Pressemitteilung: Mit Veilchen im Gemüsegarten? Wie gewaltbetroffene Männer Hilfe finden.
5. Juli 2023
Trotz öffentlicher Diskussionen, wie viele Männer Gewalttaten in Beziehungen befürworten: die allermeisten Männer schlagen eben nicht zu und auch nicht zurück. Und Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, finden sogar zunehmend leichter Beratungs- oder Schutzwohnungsangebote.
Eine Bekannte kann sich daran erinnern, dass in ihrer Kindheit in den 60er Jahren ein älterer Herr im Dorf manchmal mit „Veilchen“, also blau geschlagenen Augen, in seinem Gemüsegarten am Arbeiten war. Seine Frau stand manchmal hinter ihm und beschimpfte ihn laut und ohne Hemmungen. Das fand die Bekannte echt unangenehm. Ganz bestimmt nahmen viele andere im Dorf die häusliche Gewalt gegen den Mann ebenso wahr – und schauten weg. Was sollte ein Kind schon ausrichten, oder Erwachsene, die nicht wussten, wie an Hilfe zu kommen wäre?
Oftmals hieß und heißt es in solchen Fällen nur: „Waschlappen, der Kerl kann sich doch wehren“. Doch nein, das können und wollen auch heute viele von häuslicher Gewalt betroffene Männer nicht. Auch in einer kürzlich bekannt gewordenen Befragung der Hilfeorganisation „Plan International“[1] waren – trotz der öffentlichen Betonung auf Gewalt ausübenden Männern – mehr als zwei Drittel der jungen Männer dagegen, partnerschaftliche Gewalt auszuüben.
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Vorstellungen geändert, wie ein Mann zu sein hat. Gängige Männerbilder sind heute viel weniger eindimensional. Männer dürfen emotional, einfühlsam, ängstlich, zuvorkommend – und trotzdem erfolgreich sein. Und Zurückschlagen ist eben keine Option, wenn man(n) eingeschüchtert ist – erst recht nicht gegen Partner*innen, die vermeintlich körperlich schwächer sind. Vielen Männern fällt es jedoch weiterhin schwer, sich an die Polizei oder eine Beratungsstelle zu wenden. Ein Mann als Opfer – wer glaubt das schon?
Laut Polizeistatistik ist beinahe jeder dritte von häuslicher Gewalt Betroffene männlich.[2] Die Zahl der Anzeigen von Männern gegen ihre Partner*innen steigt in den letzten Jahren leicht an. Erfahrungen aus Beratungsstellen für Männer zeigen, dass Gewaltbetroffene aus allen Schichten und Altersgruppen kommen[3]. Zudem vermuten Forschende ein großes Dunkelfeld nicht aufgedeckter Fälle, in der Stadt genauso wie auf dem Land.
Schon seit 2019 fördert deshalb das Bundesfamilienministerium die bundesweit aktive Fach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz. Die Mitarbeitenden sorgen für ein dichter werdendes Beratungs- und Schutzwohnungsnetz. Es enthält aktuell etwa 120 Gewaltberatungsstellen, zwölf davon mit Männerschutzwohnungen. Jedes Jahr kommen zwei bis drei Männerschutzwohnungen dazu. Auf einer Kontaktlandkarte können Männer online und per Telefon in Beratungen eintreten. Seit 2020 ist auch das bundesweite Männerhilfetelefon 0800-1239900 in Betrieb, mit hoher Auslastung und einer Statistik, die das Hellfeld jenseits der Polizeistatistik sichtbar macht. Mehr als 50 % der Anrufenden sind von Gewalt betroffene Männer.
Auch die gesellschaftliche Wahrnehmung der häuslichen Gewalt ändert sich. Heute greifen Nachbar*innen, aber auch Freundes- und Kollegenkreise eher ein, hören zu, unterstützen, wenn sie Niedergeschlagenheit oder blaue Flecken bei anderen bemerken. Hilfe in Anspruch zu nehmen, wird so zunehmend normal, auch für Männer. Denn sie dürfen auch schwach sein, gerade, wenn andere das anerkennen. Männliche Gewaltbetroffenheit muss heraus aus der Tabuzone. Mehr anerkannte Betroffenheit ist natürlich weiterhin keine Entschuldigung dafür, eigenen Druck durch körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt an anderen auszulassen. Das gilt für alle – egal, ob Mann, Frau oder andere Geschlechter.
Auch wenn die Hilfelandschaft für viele Männer also nicht direkt vor der Haustür zu finden ist – das Netz wird langsam dichter. Im Internet und am Telefon sind Beratung und Hilfe auf jeden Fall möglich und sollten selbstverständlich sein. Denn Veilchen gehören ins Blumenbeet und nicht in die Gesichter von Betroffenen.
(Vorschlag Kastentext)
Gewalt ist unter keinen Umständen eine Lösung. Fünf Tipps, um Ruhe in schwierige Situationen zu bringen:
> Auf Alarmsignale achten und bewusst gegensteuern: Wenn Sie oder Ihr*e Partner*in anfangen zu beleidigen oder zu schreien – aktiv werden. Sie wissen selbst am besten, was beruhigt, zum Beispiel ein Spaziergang.
> Sich mitteilen, sich Abstand erlauben und diesen auch einfordern: Es ist in Ordnung, auch Raum für sich einzufordern. Oder zu sagen, dass man sich eingeengt und frustriert fühlt.
> Etwas finden, dass jeden Tag Spaß macht: Musik hören; Bücher lesen, die Sie schon immer lesen wollten; Filme sehen, die gute Laune machen. Auch eine Jogging-Runde kann entspannen.
> Online Hilfe holen oder finden: Auf Seiten www.maennergewaltschutz.de/hilfe oder www.maennerberatungsnetz.de gibt es interaktive Landkarten mit Kontakten zu Beratungsstellen.
> Telefonisch Hilfe finden: Männerhilfetelefon unter 0800-1239900, Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen unter 116 016
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Enrico Damme, Fachreferent Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Tel.: 0351-27566887, Funk: 0176-63260831
Mail: enrico.damme@maennergewaltschutz.de
[1] https://www.plan.de/presse/umfragen-und-berichte/spannungsfeld-maennlichkeit.html
[2] https://www.maennergewaltschutz.de/neuigkeiten/neue-zaehlweise-bka-mehr-maenner/
[3] https://www.maennergewaltschutz.de/bundes-netz-maennergewaltschutz/statistik-2021/
* Wir respektieren sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.