„Echte Empathie kennt kein Geschlecht“ - Interview mit Männercoach und Projektentwickler Alexander Bentheim
31. Januar 2023
Alexander Bentheim arbeitet seit über 30 Jahren freiberuflich als system-, gender- und handlungsorientierter Berater, Coach, Fortbildner, Publizist und Projektentwickler/-begleiter in der Männer-, Väter- und Jungenarbeit. Der Pädagoge leitet am 9. und 10. März eine zweitägige Online-Fortbildung zum Thema Geschlechtersensible Beratung gewaltbetroffener Männer*.
BFKM: Du bist ja schon seit den 90er Jahren in der Beratung und Forschung zur Betroffenheit bei Gewalt unterwegs. Wie kam es dazu, dass du dich erstmals aus Betroffenensicht mit dem Thema beschäftigt hast?
Alexander Bentheim: Ich habe mich in meiner Diplomarbeit 1986/87 mit der Frage beschäftigt, warum Männer (sexualisiert) gewalttätig werden. Die Betroffenensicht spielte in diesem Zusammenhang schon recht bald eine implizite Rolle, weil ich mir als Pädagoge auch Fragen zur Gewaltsozialisation von Jungen angeschaut habe. Dort fand ich, dass und wie die eigene Gewaltbetroffenheit von Jungen und jungen Männern einfach übergangen wird. Hilfe für gewaltbetroffene Männer gab es zu dieser Zeit noch nicht, da Männer ausschließlich als Täter gedacht und thematisiert wurden.
BFKM: Der Täterfokus beim Blick auf Männer ist ja in der Berater*innenszene heute noch präsent. Täterberatung ist ausgeprägt und zurecht anerkannt. In Deutschland gibt andererseits schon viele Beratungsstellen, die Männer* als Betroffene anerkennen. Das sind jedoch lange noch nicht genug, denn die Betroffenen- und Dunkelziffern sind hoch. Liegt das an patriarchal geprägten Denkmustern, die ein Umdenken der Szene verhindern, oder welche Ursachen siehst du?
Alexander Bentheim: Ja, patriarchale Denkmuster – bei Männern, aber auch bei Frauen – verhindern die Erweiterung von Perspektiven auf alle, die von Gewalt betroffen sind. »Mann oder Opfer?« wurde einst eine Tagung treffend provokant übertitelt. Echte Empathie kennt aber kein Geschlecht. Wer Gewalt erfahren hat und Hilfe braucht, sollte sie auch bekommen. Es braucht nur parallel unterstützend auch eine jungen- und männerfreundliche Kultur, in der die Frage nach Hilfe erlaubt ist und nicht ins Lächerliche gezogen wird.
BFKM: Jenseits der Frage nach Hilfe, wie würde eine solche jungen- und männerfreundliche Kultur aussehen?
Alexander Bentheim: Elemente dafür wären für mich: weniger Angst voreinander zu haben und im Gegenteil viel mehr Neugier darauf zu erfahren, wie der jeweils andere die Welt sieht, Probleme angeht, Entscheidungen findet, Krisen bewältigt. Anderen auch zuhören und weniger werten. Schauen, ob eine Idee von jemand anderem eine Resonanz in mir selbst findet, auch kultur- und generationsübergreifend.
BFKM: Es gibt in den letzten Jahren Entwicklungen hin zu mehr Männerberatung, wenn es um deren Betroffenheit bei Gewalt geht. Wir von der BFKM freuen uns, dass wir mit dir dazu nun schon zum dritten Mal eine Fortbildung anbieten können. Wen soll diese ansprechen?
Alexander Bentheim: Angesprochen werden Mitarbeitende aus Beratungsstellen, die Männer* beraten oder dies planen. Im weiteren auch Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt sowie Opferhilfeeinrichtungen und Opferschutzbeauftragte der Polizei. Hilfreich fände ich auch, wenn wir Therapeut*innen und Coaches erreichen. Aufgrund vieler entsprechender Betroffenenberichte am Männerhilfetelefon, können sich gern auch Kolleg*innen in Jugendämtern angesprochen fühlen, die mit Gewalt und Trennungsfragen in Familien zu tun haben.
BFKM: Worum wird es gehen, kannst du bitte zwei, drei Inhalte der online-Fortbildung andeuten?
Alexander Bentheim: Inhaltlich wird es um viele Facetten gehen, wie Männer – auch schon als Jungen und Jugendliche – mit Gewalt als Bedrohung und vermeintlicher Ressource konfrontiert wurden – und wie dies ihren Entwicklungsrahmen samt Rollenverständnis beeinflusst hat. Ein Schwerpunkt werden dann Fragen der Beratung von männlichen Betroffenen sein. Da geht es um deren Schutz und Sicherheit, aber auch um persönliche Handlungserweiterungen, die über erlernte Rollenmuster hinausweisen. Ich freue mich übrigens auch über die atmosphärisch gute und professionelle Zusammenarbeit mit der BFKM!
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* Wir respektieren geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.