Ein Jahr Männerhilfetelefon - wissenschaftlich fundierte Statistik veröffentlicht
11. Juni 2021
Entgegen Befürchtungen, dass Männer keine Hilfe suchen würden, beeindruckt das Männerhilfetelefon mit stetig steigenden Nutzerzahlen. Das bundesweite Beratungsangebot wurde im April 2020 von NRW und Bayern gemeinsam ins Leben gerufen.
Die im Folgenden zitierte Evaluation bezieht sich auf das erste Jahr des Angebotes, das neben der Telefonnummer 0800 1239900 per Mail an beratung@maennerhilfetelefon.de erreichbar ist.
Mit 1825 Kontakten im ersten Jahr geht die Evaluation von einer „hohen Nutzung“ aus und schließt auf einen „relevanten Bedarf des Angebots der Zielgruppe gewaltbetroffener Männer“. Im Zeitverlauf sei ein stetiger Anstieg der Nutzung zu verzeichnen gewesen, je mehr sich die Bekanntheit des Angebotes steigerte.
Die Kontaktaufnahmen erfolgten bundesweit relativ gleichmäßig; neben Kontakten aus den Betreiberländern NRW und Bayern meldeten sich im Jahresverlauf immer mehr Männer auch aus anderen Bundesländern. Dabei handele es sich zu 70% um telefonische Kontakte und zu fast 30% um Kontaktaufnahmen per Email, so die Evaluation.
Weit über ein Drittel der Betroffenen (39%) erfuhren Gewalt durch weibliche Täter*innen, viele davon durch ihre (Ex)-Partner*innen. Etwa 7% der Meldungen gingen auf Täter*schaften von Kollegen und Freunden, oder auf männlichen Tatpersonen aus Institutionen zurück. Männer über 60 Jahre seien vergleichsweise seltener vertreten (9%). Sie würden durch das Angebot bislang wenig erreicht, ebenso wie junge Männer von 16 bis 25 Jahren (12%).
Gut zwei Drittel der Kontaktaufnahmen erfolgten durch die Betroffenen selbst, etwa ein Zehntel durch Angehörige oder Personen aus dem Bekanntenkreis. Die restlichen Kontaktaufnahmen erfolgten zumeist über Fachkräfte aus dem Hilfesystem, d.h. auch dieser Weg ist relevant, wenn es gilt, die richtige Ansprechperson zu finden.
Weiterhin konstatiert die Studie, dass sich von den „… Beratungsfällen, zu denen dies ermittelt werden konnte“, 70% in einer akuten Gewaltsituation befanden. Der akute Druck, sich Hilfe zu suchen, ist demnach sehr hoch. Bei fast einem Fünftel (19%) sei der Beratungsanlass demgegenüber eine Gewalterfahrung in Kindheit und Jugend gewesen, und bei den restlichen Fällen zurückliegende Gewalterfahrungen im Erwachsenenleben. Hier kann von einer Traumatisierung ausgegangen werden, die die Betroffenen nicht zur Ruhe kommen lässt.
In Bezug auf die Gewaltformen gaben Betroffene oft mehrere Gewaltformen zugleich an. Körperliche Gewalt dominierte, sie wurde von gut der Hälfte der Betroffenen (53%) angegeben. Sexualisierte Gewalt gab etwa ein Sechstel (18%) der Betroffenen an. Sehr häufig würde zudem – oft zusätzlich – psychische Gewalt erlebt; insgesamt 85% der Betroffenen berichteten davon.
Angesichts dieser Ergebnisse fordert die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM) die Verantwortlichen in weiteren Bundesländern auf, das Männerhilfetelefon als bundesweit zentrale Massnahme in seiner Reichweite zu unterstützen. Denkbar wäre bei weiter steigendem Bedarf, Hilferufe regional direkt beim Anrufen umzuleiten. Dazu gilt es, Weiterleitungs- und Vermittlungsstellen in einzelnen Bundesländern aufzubauen. Von dort aus könnten die regional existierenden Männer*schutzwohnungen und andere Männerberatungsangebote zielgenauer aktiviert werden.
Für ebenso wichtig hält die BFKM den Ausbau der Werbung für das Männerhilfetelefon. Besonders jüngere und alte Betroffene, sowie das Umfeld gewaltbetroffener Männer* müssen aktiviert werden, denn jeder*m von Gewalt Betroffene*n sollte ein Hilfeangebot zuteil werden können. Dies könnte unter dem Motto „Bei Gewalt, hol´ dir Hilfe!“ passieren.
Die Evaluation setzte das Institut für empirische Soziologie (IfeS) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg um. Dr. Monika Schröttle und Dr. Ralf Puchert zeichnen diesmal und auch im zweiten Jahr des Hilfetelefons für die wissenschaftliche Begleitung verantwortlich. Auf die weiteren Ergebnisse warten wir mit Spannung.
Alle Infomaterialien zum Angebot selbst können auf den Seiten des Männerhilfetelefons heruntergeladen werden.
* Wir berücksichtigen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.