Eine gültige Gewaltschutzstrategie muss auch betroffene Männer im Blick haben
15. Juni 2022
Forderungen der Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz zur Ausgestaltung der Gewaltschutzstrategie der Bundesregierung
Download BFKM – Forderungen Gewaltschutzstrategie
Die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM) ist ein Projekt, das sich seit Oktober 2019 für die Etablierung und Vernetzung bestehender und im Aufbau befindlicher Projekte zum Schutz von Männern*[1] vor Gewalt in Deutschland einsetzt. Dies geschieht maßgeblich aus Betroffenenperspektive und mit dem Schwerpunkt auf Beratungs- und Zufluchtsmöglichkeiten für von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffene Männer* und deren Kinder.
Wir betrachten Männergewaltschutz als Teil des Hilfesystems im Kampf gegen Häusliche Gewalt. Kinder- und Frauenschutzeinrichtungen, Interventions- u.a. Opferberatungsstellen sowie täterorientierte Projekte- und Beratungseinrichtungen sind dabei wichtige Kooperationspartner*innen, deren jahrelanger Tätigkeit und Erfahrungen wir viel zu verdanken haben.
Ausgangspunkte
Die Studie Partnerschaftsgewalt des BKA von 2020 weist 146.655 (2019: 139.833; +4,9 %) Fälle von Gewalt in Partnerschaften mit 148.031 (2019: 141.792; +4,4 %) Opfern aus. Davon sind 80,5 % weibliche (119.164) und 19,5% männliche Gewaltbetroffene (28.867, +7,4 %).
Stand Juni 2022 existieren für gewaltbetroffene Männer* in Deutschland zwölf Männerschutzwohnungen mit 37 Plätzen, in einem sehr grobmaschigen Netzwerk und damit häufig für Betroffene weit entfernt. Diese Männerschutzwohnungen sind nahezu durchgehend ausgelastet und arbeiten teilweise mit Wartelisten. Wie für gewaltbetroffene Frauen, sind auch für Männer* fehlende Zufluchten der Horror und werden zum Symbol andauernder Qualen. Zahlreiche Initiativen stehen zwar in den Startlöchern, weitere Männerberatungs- und Schutzangebote aufzubauen. Doch leider gibt es in 15 von 16 Bundesländern bisher keinerlei reguläre Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten für Gewaltschutzeinrichtungen für Männer*.
Forderungen
Die BFKM hat bereits im November 2020 gemeinsam mit Akteur*innen im Männergewaltschutz „Fachpolitische Empfehlungen für den Männer*gewaltschutz in Deutschland“ vorgelegt. Doch davon ist bisher kaum etwas umgesetzt. Deshalb sieht die BFKM einen dringenden Handlungsbedarf und fordert die Bundesregierung zum Handeln in folgenden Bereichen auf:
- Eine Verbreiterung der fachpolitischen und gesellschaftlichen Diskussion über häusliche und sexuelle Gewalt in allen Erscheinungsformen auch gegen Männer*. Trotz der nahezu 20 Prozent Anzeigen von Männern* im Bereich häuslicher Gewalt, verbleibt deren Gewaltbetroffenheit weitgehend in der Tabuzone. Dadurch werden Beratungs- und Hilfeleistungen erschwert.
- Für Männer* sollte es selbstverständlich sein, dass es männerspezifische Hilfeangebote gibt. Erst dann trauen sich die von Gewalt betroffenen unter ihnen, diese Hilfe auch in Anspruch zu nehmen.
- Die Schaffung von Männerschutzeinrichtungen soll sich an der Größe und Einwohnerzahl des jeweiligen Bundeslandes orientieren. Auf der Grundlage der vorliegenden Daten zur Gewaltbetroffenheit von Männern*, sollten pro Bundesland bedarfsgerecht, jedoch mindestens fünf Männerschutzeinrichtungen aufgebaut werden. Dazu bedarf es gesonderter Auswertungen des Bundes- sowie der Landeskriminalämter zu männlicher Gewaltbetroffenheit im häuslichen Kontext.
- Die Etablierung von Ansprechpartner*innen für Männerpolitik und Männergewaltschutz in den Bundesländern ist notwendig, wo bisher keine solchen in den jeweils für Gleichstellungspolitik zuständigen Fachministerien vorhanden sind.
- Die Finanzierung eines „Aktions- und Innovationsprogramms Männer*gewaltschutz“ im Umfang von fünf Millionen Euro in den nächsten Jahren. Das Programm muss eine „Ausstattungsinitiative zur Etablierung von Männer*schutzeinrichtungen“ beinhalten. Des Weiteren braucht es in diesem Rahmen eine eigenständige „bundesweite Informations- und Sensibilisierungskampagne“, um Gewaltbetroffenheit von Männern* in der Gesellschaft sichtbar zu machen und Männer* zu motivieren, sich Hilfe und Unterstützung zu holen.
- Diese durch den Bund finanzierte „Ausstattungsinitiative zur Etablierung, Sanierung und Ausstattung von Männerschutzeinrichtungen in Deutschland“ ist notwendig, um den Ausbau des Hilfesystems für gewaltbetroffene Männer* in den einzelnen Bundesländern flankierend zu begleiten.
- Die schnellstmögliche Etablierung einer Monitoringstelle geschlechtsspezifische Gewalt, die den geplanten „vergleichenden Gewaltsurvey“ fachlich begleitet und weitere Daten zur Gewaltbetroffenheit von Männern* aufbereitet.
- Die Förderung begleitender Beratungsangebote für gewaltbetroffene Männer* und deren Umfeld.
- Die Etablierung von Projekten und Maßnahmen zur geschlechtsspezifischen Gewaltprävention.
Die BFKM hat in einer Bestandsaufnahme im September 2021 darauf hingewiesen, dass die Regelungen der Europaratskonvention zur Bekämpfung und Verhütung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) zumindest im Bereich Häusliche Gewalt auch für betroffene Männer Gültigkeit besitzen. Die Einbringung der Interessen gewaltbetroffener Männer in den Prozess der Umsetzung der Istanbul-Konvention erscheint uns geboten, um auch im europäischen Kontext eine der Ächtung von Gewalt in allen Formen voran zu bringen.
[1] Wir benutzen den Asterisk, denn wir respektieren geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.